- weisesfrettchen
- 26. Apr. 2021
- 15 Min. Lesezeit
november 2016
„Wir sollten langsam gehen, findest du nicht?“, hallte mit einem Mal die Stimme Narisaras durch den sonst leeren Tanzraum. Nicht einmal die Musik spielte mehr – auch Naris Handyakku musste wohl den Geist aufgegeben haben, nachdem sie zuvor aufgrund desselben Problems von Eunhas Handy auf ihres umgestiegen waren. Schweigend setzte Eunha ihre Trinkflasche ab, welche nun auch leer geworden war. Nur mit Not konnte sie ein Seufzen unterdrücken. Ja, auch ihre Gelenke gaben ihr zu verstehen, dass es allmählich an der Zeit war aufzuhören, doch dies hatten sie auch schon vor Stunden getan. Sie waren also kein Indiz aufzuhören – zumal sie diesen einen Schritt nicht wirklich hinbekommen wollte. Ständig geriet sie aus dem Takt, obwohl er gar nicht zu überhören war. Dies ärgerte sie nicht nur maßlos, sie fühlte sich auch Narisara gegenüber schuldig, welche mit ihr immer wieder den gleichen Teil durchgegangen war, auch wenn sie nicht danach gefragt hatte. Ohne sie wäre die andere Tänzerin schon wesentlich weiter.
Nun entwischte ihr doch ein Seufzen. Mit einem Nicken sammelte sie ihr Handy auf, musste es sogar schnell in die linke Hand verschwinden lassen, bevor es aufgrund des Zitterns und der Schmerzen auf den Boden fiel. Sonderlich scharf auf ein neues Handy war sie nämlich nicht. Dann sammelte Eunha ihre Sachen auf und ging an Narisara vorbei nach draußen, welche das Licht ausmachte, unterließ dabei den kritischen Blick auf ihre Hand dabei. Auch ohne sie zu betrachten wusste sie, dass diese sehr dick sein musste, schließlich ließ sie sich nahezu gar nicht mehr bewegen. Laut den Ärzten sammelte sich einiges an Wasser dort. Warum es aber nur manchmal auftrat und oft gar keine Probleme beim Tanzen auftraten, hatten sie ihr auch nicht erklären können. Der menschliche Körper war ein Mysterium, egal was man auch anderes sagen wollte.
Eisige Kälte umhüllte die Körper der beiden. Im Trainingsraum war es aufgrund des langen Trainings aufgeheizt gewesen, ganz zu schweigen von ihren Körpern durch den stundenlangen Sport. Davon war hier draußen nur wenig zu spüren. Vielmehr fühlte sich alles in Eunha wie in einer Kältekammer an, als würde es jeden Moment zu Eis gefrieren – inklusive ihrer selbst. Zitternd schlang Narisara auch ihren Mantel enger um sich.
„Was ist dein Problem bei dem Schritt?“, warf die Blonde auf einmal in den Raum zwischen ihnen. Kurz überlegte Eunha, ob es sich wieder um eine ihrer Spitzen gegen sie handelte, nahm jedoch einen eher besorgten Unterton wahr. Ob sie sich Sorgen um die Ältere machte oder doch eher um die ganze Band, wusste Eunha nicht wirklich, vermutlich jedoch Zweiteres. An ihrer Stelle würde sie sich bestimmt auch Sorgen machen, immerhin könnte diese Sache ganz schnell zum Problem werden. Eine Tänzerin, die den Schritt nicht auf die Reihe bekam und den Takt an dieser Stelle komplett in die Tonne trat? Das sah nun wahrlich keiner gern. Kurz kamen ihr die Anschuldigungen wieder in den Kopf, sie hätte sich irgendwie hineingekauft oder war nur hineingekommen, weil sie der Liebling des CEOs war. So schnell wie möglich vertrieb sie diese wieder – nicht umsonst hatte sie tatsächlich Jonghyun höchstpersönlich aufgesucht und ihn gefragt. Eine gewagte Aktion, besonders so kurz nach Bekanntgabe der Line-Up, aber sie hatte sich versichern müssen. Noch heute war sie ihm dankbar für alles, was er für sie getan hatte und auch wenn er tatsächlich besser mit ihr klarkam, als wahrscheinlich jeder andere im Entertainment, so hatte er ihr mehrfach zu verstehen gegeben, dass dies keiner der Gründe war und er das auch nicht vollkommen allein entschieden hatte – sie also trotz seiner Empfehlung nicht hätte genommen werden können. Manchmal lohnten sich Risiken, auch wenn sie uns Angst machten.
„Keine Ahnung, irgendwas bringt mich immer aus dem Takt, tut mir leid“, antwortete sie nach einiger Zeit. Es tat ihr wirklich leid, auch wenn sie nicht glaubte, dass ihr Bandmember das wirklich annehmen würde. Mit einer Handbewegung fuchtelte die Blondhaarige kurz vor ihrem Körper herum, nur um sie dann schnellstmöglich wieder in die Manteltasche zu stecken.
„Du musst doch wissen wo das Problem liegt. Sowas weiß man doch.“ Das kleine Lächeln musste sie sich verkneifen, schließlich meinte sie das keinesfalls so böse, wie es klingen musste. Diese Diskussionen waren eine andere Art von Nervenkitzel, weil man mit Eunha wirklich bis aufs Äußerste diskutieren konnte und nie wusste wohin das führen würde.
„Weiß ich aber nicht, okay? Niemand hat dich gebeten bei mir zu bleiben“, blaffte die sonst so beherrschte Snow wieder vor sich hin. Jetzt auf ihr herumzuhacken nervte sie einfach nur extrem. Sie wusste immerhin selbst, dass sie die Zeit der anderen Tänzerin für nichts verschwendet hatte. Nicht, dass ihr diese missglückten Versuche nicht auch vollkommen gegen den Strich gehen würden. Genervt pustete sie eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, welche sich auf ihrem Zopf gelöst hatte. Sie war wirklich genervt – wie sehr sie dieses Gefühl doch hasste.
„Mit den Bewegungen davor nimmst du den Schwung dafür, du darfst dich nicht zu sehr auf die Bewegung an sich konzentrieren, sondern eher auf die davor. Die sind viel wichtiger, wenn-“, erklärte die Thailänderin in wesentlich friedvollerem Ton, als sie auf einmal stutzte und stehen blieb. Auch Eunha war im selben Augenblick stehen geblieben, den Blick sofort durch die Gegend schweifen lassen, doch es ließ sich nichts ausmachen. Kurz überlegte sie, ob das nicht vielleicht nur Einbildung gewesen war und ihre Gesprächspartnerin nur zufällig zur gleichen Zeit angehalten hatte, als ein weiterer leiser Schrei zu vernehmen war. Schneller als sie gucken konnte, hatten sich Narisaras Füße in die vermeintliche Richtung bewegt und auch Eunha setzte sich sofort in Bewegung – immer weiter geradeaus. Glücklicherweise war die Ampel gerade grün, denn als sie das Wimmern vernehmen konnten, gab es für die beiden erst Recht kein Halten mehr. Erst in der nächsten Querstraße blieben sie stehen, völlig außer Atem. Es waren nur ein paar Sekunden, höchstens eine Minute vergangen, doch für die beiden fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Das Blut war ihnen bei dem Schrei gefroren, dafür schien alles andere in Alarmbereitschaft zu sein. Drei junge Männer standen oder knieten mit dem Rücken zu den Idolen, eine Frau blickte sie mit weit aufgerissenen Augen an, so als könnte sie nicht glauben, dass wirklich jemand gekommen war. Gleichzeitig schimmerte eine große Angst in ihnen, welche in dem Moment noch größer zu werden schien, als sie die beiden vor sich erkannte.
„Hey“, schrie Narisara so laut, dass es Eunha fast das Trommelfell zerstörte. Einer der Männer, der größte von ihnen, erschreckte sich so, dass er kurze Zeit ins Straucheln geriet, ehe er sich zu ihnen umdrehte. Schlagartig änderte seine Miene von ängstlich in ein leicht gehässiges, schmieriges Grinsen. „Wollt ihr etwa mitspielen?“, grinste nun auch der Blonde auf der anderen Seite neben ihm die beiden an. Währenddessen drehte der in der Mitte sich wieder zu dem Mädchen herum, welche ein kleines Stück nach hinten gekrabbelt war. Sie zitterte wie Espenlaub, den Rücken so weit es ging an die Mauer gedrückt. Sackgasse.
„Wenn ‚spielen‘ bedeutet, dass ihr heulend am Boden liegt, gern“, antwortete Eunha mit kalter Stimme und stürmte auf die drei zu. Wenigstens etwas hatte es, größtenteils mit Männern befreundet zu sein. Jedoch stürmten die Männer in diesem Moment an ihr vorbei, so schnell konnte sie gar nicht sehen. Reflexartig bekam sie jemanden zu fassen, riss ihn mit sich zu Boden und konnte nur noch zusehen, wie die anderen in eine andere Richtung verschwanden – Narisara hinter ihnen hinterherrennend. Nackte Panik erfasste sie und sie schrie als jemand ihren Arm berührte.
„Kleines, ich bin es“, versuchte eine bekannte Stimme sie zu beruhigen. Ihr Körper war bei dem Geräusch seiner Stimme schon dabei sich zu entspannen, als sie die eigentliche Situation wieder begriff. Sofort begab sie sich auf die Beine, fiel dabei aufgrund der Schmerzen in ihren Füßen geradewegs in die Arme von Minjae.
„Alles ist gut, die anderen kümmern sich darum. Mach dir keine Sorgen um deine Freundin“, flüsterte er ihr zu. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie den Namen ihrer Bandkollegin wie im Mantra vor sich hingesagt hatte. Ruckartig drehte sie sich in Richtung des Mädchens, welche noch immer am Boden hockte. Unter Schock blickte sie die Leute um sich herum an, die auf einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht waren. Eunhas Sicht verschwamm, als Tränen anfingen ihr über die Wangen zu laufen. Ob aus Schock oder Erleichterung oder Mitleid, konnte sie selbst nicht sagen, doch fast augenblicklich fühlte sie sich dem Mädchen gegenüber schrecklich. Jonghi, ihre beste Freundin, näherte sich nur langsam dem Mädchen, sprach beruhigend mit ihr und schaffte es sogar ein oder zwei Antworten aus ihr herauszubekommen. Ihre Stimme hörte sich gebrochen an, als sie antwortete. „Minnie ruf einen Krankenwagen, wir bringen Suji ins ein Krankenhaus und lassen sie durchchecken“, wies sie mit angespannter Stimme an und wandte sich dann an Eunha, ein zartes Lächeln erstreckte sich auf ihre angespannten Züge.
„Ich bräuchte hier deine Hilfe. Seongyoon und mein Bruder sind an ihrer Seite, Nari ist in Sicherheit“, begann sie und wurde schnell wieder ernst, „erst einmal ist das hier wichtiger. Also schwing deinen Hintern hierher.“ Schnell machte Eunha sich von ihrem Freund los, wischte sich die Tränen fort und half Jonghi dabei Suji zu beruhigen.
Völlig außer Atem saß Narisara auf dem Bordstein. Ihre Beine zitterten aufgrund der Anstrengung, doch sie musste hier auf die Polizei warten, auch wenn ihr nicht ganz so wohl bei der Sache war. Zwar hatten ihre zwei Begleiter die Drei wie nichts in ihre Schranken gewiesen, nun lagen sie tatsächlich heulend auf dem Boden, doch ihre Erscheinungen trugen nicht unbedingt zu ihrer Beruhigung bei. Okay, um fair zu sein: Der Eine sah tatsächlich ein wenig ungefährlich aus, auch wenn er scheinbar wusste wie man mit den Fäusten umging. Dafür konnte man bei dem anderen die Tattoos bis zum Hals hinauf sehen. Eines davon fand sich auch mitten in seinem Gesicht wieder. Er trug ein T-Shirt und schien rein gar nicht zu frieren, weit und breit war auch kein Mantel oder ähnliches zu sehen.
„Ist dir nicht kalt“, plapperte sie einfach drauf los. Es wäre ja nicht so, als wäre sie für ihre feinfühlige Art und Weise bekannt. „Das schon“, kam als Antwort prompt zurück. Es schien fast so, als hätte er nur auf eine Frage gewartet um reden zu können, „aber ein gewisser Herr kam ja unbedingt auf die Idee, es wäre wahnsinnig aufregend die Zeche zu prellen. Da nur er Geld mit hatte und der Besitzer des Lokals sowieso kein Fan von uns war, ich zitiere: ‚Solch kriminelles Pack wollen wir nicht hier haben, also haut schnell wieder ab‘ konnten wir nur rennen.“
Ihr Blick fiel auf den anderen Mann, welcher sich lachend eine Strähne aus dem Gesicht strich. Es schien nicht das erste Mal zu sein, dass er sich solche Schimpftriaden von seinem Freund anhören durfte. Irgendwie, fand Narisara, machte es ihn sofort sympathischer. „Sein Weltbild sollte doch nur nicht zerstört werden“, gab er seinem Kumpel als Antwort. Narisara hingegen konnte ihr Lachen nicht unterdrücken, weswegen der Laut ihrer Stimme schnell und ungehalten durch die späte Abendluft hallte. Sofort hatte sie die nun vollständig ungeteilte Aufmerksamkeit der Beiden, auch wenn sie dabei fast die Idioten auf dem Boden zu vergessen schienen.
„Was ist daran jetzt bitte lustig?“, schmollte der Untätowierte und strich sich mit der Hand wieder diese eine Strähne aus dem Gesicht.
„Du solltest dir dringend die Haare schneiden oder diese Strähne in einen Zopf stecken“, erklärte sie ihm ohne auf die eigentliche Frage einzugehen. Fast im gleichen Augenblick ging ihr Blick zu ihrem Handgelenk, an welchem sie noch ein Haargummi zu hängen hatte. Mit einem Sprung war sie auf den Beinen, klopfte sich kurz den Dreck von ihren Sachen und sprang fast in Richtung des Größeren. Noch immer hatte sie einen Ohrwurm von dem Lied, welches Eunha und sie die ganze Zeit gehört hatten – da war es nun einmal ziemlich schwer stillzustehen oder langsam zu laufen. Kritisch wurde die Blondhaarige von den beiden Männern beäugt, was sie jedoch nicht im Geringsten zu stören schien.
„Jetzt wäre es gut, wenn du dich wenigstens ein bisschen auf meine Höhe begeben würdest“, kam sie mit tadelnden Worten vor ihm zum Stehen. Dabei machte sie den Eindruck, als würde sie mit einem Kindergartenkind reden. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als der Mann vor ihr, sich tatsächlich wie ein gehorsames Kind weiter zu ihr hinunterbeugte, sodass die an seine Haare herankam. Sachte tätschelte sie ihm die Schulter. „So ist es gut“, lachte sie und auch von der Seite war ein Glucksen zu hören. Den anderen Mann hatte sie fast schon wieder vergessen, doch dieser schien sich, genauso wie sein Kumpel, ziemlich über diese Situation zu amüsieren. Ohne die geringste Zurückhaltung, nahm sie die störende Strähne, sowie einige andere seines Haares und band sie zu einem kleinen Zopf. Noch während er sich wieder in seine volle Größe aufrichtete, fing Narisara wieder an zu lachen, genauso wie der andere Mann neben ihr, der sich auch nach einigen Minuten nicht ansatzweise beruhigen konnte. Je öfter sie ihn ansah, desto größer wurden auch die Bauchschmerzen von Narisara, sie sich nach und nach bildeten und auch die Tränen in ihren Augen wurden nicht gerade weniger. Dennoch schien es fast unmöglich sich zu beruhigen. Für einen Moment war das, was heute Nacht passiert war, in den Hintergrund gerückt.
„Wieso werde eigentlich immer ich ausgelacht?“, gab der Größte aus der Runde gespielt beleidigt von sich. Und während es Nari noch mehr zum Lachen brachte, versuchte der Dritte irgendwie eine Antwort hinauszupressen. „Weil du einfach eine echte Witzfigur bist, sieh es ein Yeonseok“, lachte er weiter und klopfte seinem Freund so doll auf den Rücken, dass dieser fast vornüberfiel. Auch diese Aktion half nicht gerade dabei, ihr Lachen abzuebben. Ihr Bauch schmerzte, sodass sie sicher davon Muskelkater bekommen würde. Ihre Sicht hingegen verschwamm immer mehr, doch auch wenn sie nur Umrisse sehen konnte – irgendwie machte es die ganze Sache zwischen den beiden Männern noch witziger. Nun hielt es Yeonseok scheinbar nicht mehr aus, denn er holte sein Handy aus der Hosentasche und entsperrte es. Fast augenblicklich sah er das Handy ungläubig an. Dann wandte er sich zu Narisara und rief entsetzt: „Scheiße, ich sehe ja aus wie ein Einhorn!“
„Ich finde wir sollten ihn Sparkley nennen“, platzte es aus der Tänzerin heraus und wieder finden sie alle an zu lachen. Nun hatte Yeonseok sogar unverhofft einen Spitznamen bekommen und Narisara hatte die beiden Knallköpfe auch schon irgendwie in ihr Herz geschlossen Fast vergaßen die Drei die anderen, wegen denen sie sich eigentlich unfreiwillig hier versammelt hatten. Während Narisara und die anderen sich amüsierten, versuchten diese sich klangheimlich trotz ihrer schmerzenden Körper aufzurappeln und davonzumachen. Gerade rechtzeitig, erkannte die junge Frau ihr Vorhaben. Schlagartig änderte sich die Stimmung wieder und ihr Lachen versiegte.
„Hey“, schrie sie abermals laut und lies die Männer damit allesamt zusammenfahren. Glücklicherweise bemerkten auch die anderen schnell den Ernst der Lage, weswegen sie nicht allzu lange brauchten, um die Idioten wieder auf den Boden der Tatsachen zu befördern – im wahrsten Sinne des Wortes. Nun wandte sich der Tatöwierte zu ihr um, während sein Freund die anderen im Auge behielt. „Wir sind die besten Freunde von Eunha, auch wenn wir nicht so aussehen“, begann er nun etwas ernster zu erzählen, „irgendwie bin ich dem Idioten dankbar, wer weiß was ansonsten passiert wäre. Du bist Narisara oder?“
Überrascht sah die Tänzerin den Mann neben ihr an. Sie waren Freunde von Eunha? Wieso hatte man noch nie etwas von ihnen gehört? Lediglich einen Bruder hatte sie, der schrieb ihr nach jedem Auftritt. Mehr wusste man auch nicht über ihn. Und woher wusste er wie sie hieß?
„Eunha hat uns alles über euch erzählt, im guten Sinne natürlich nur. Und da sie es echt cool findet, wie du das Ding mit deinen Haaren durchziehst, hat sie das öfter mal erwähnt.“ Noch nie war so etwas in der Art zwischen ihnen gesagt worden, weswegen sie diese Tatsache tatsächlich verwirrte. Eigentlich hätte sie auch nicht gedacht, dass die Gruppenälteste mit ihren Freunden, von denen die Truppe natürlich auch nichts gewusst hatte, überhaupt über sie und die anderen Bandmember sprach. Trotzdem fand sie ihr Lächeln wieder, deutete eine Verbeugung an und hielt ihm dann die Hand unter die Nase, schließlich waren diese formalen Sachen in ihrer Situation sowieso schon übersprungen worden. „Dann sollte ich mich wenigstens richtig vorstellen. Chanthaphasouk Narisara, freut mich euch kennenzulernen.“
Sofort tat der wahrscheinlich Ältere es ihr gleich, deutete ebenfalls eine Verbeugung an und nahm dann ihre Hand. „Jeong Seongyoon und der Idiot da drüben ist Kim Yeonseok. Freut uns auch endlich mal jemanden von euch kennenzulernen“, antwortete er und wurde gleich darauf zur Seite geschoben.
„Hey, ich kann mich doch wohl selbst vorstellen“, blaffte der Größere den nun grinsenden Seong-Yoon an. Dann wurde Narisaras Hand erneut ergriffen und kräftig geschüttelt.
„Er ist eigentlich der Idiot, hör nicht auf ihn! Ich bin Yeonseok, seit Neuestem auch bekannt als Sparkley. Freut mich auch Nari“, grinste er sie nun ebenfalls an. In diesem Moment kam die Polizei und Narisara hatte keine Gelegenheit mehr etwas zu fragen, auch wenn sie nun noch verwirrter von Eunha war, als es vorher schon der Fall gewesen war.
Völlig erschöpft könnte sie sich jetzt einfach ins Bett fallen lassen, doch noch war das nur eine Wunschvorstellung. Gerade jetzt war Narisara nach den Gesprächen mit der Polizei auf dem Weg ins Krankenhaus, in welchen auch Eunha und ihre restlichen Freunde warteten. Vorhin hatte einer dieser Freunde den Tatöwierten angerufen um ihm die Sachlage zu erklären und regelrecht zu zwingen, mit ihr und dem anderen ins Krankenhaus zu kommen. Scheinbar hatten sie das Mädchen, Suji wie sie, nachdem sie die Jungs regelrecht nervte, in einem Gespräch erfahren hatte, dorthin gebracht um sie durchchecken zu lassen. Deswegen saß sie jetzt in diesem Taxi, den Kopf erschöpft an die kühle Scheibe gelehnt. Zwar war es draußen eiskalt, doch der Taxifahrer machte von der Heizung vollständig Gebrauch. Gerade beneidete sie Seongyoon, der im T-Shirt weniger Probleme haben musste. Wie war dieser Abend nur so geendet? Manchmal könnte man über Menschen dieser Welt nur heulen. Lieber wollte, und konnte sie auch nicht mehr, darüber nachdenken, was alles hätte passieren können – egal ob mit ihnen oder Suji. Zufälle waren manchmal zu etwas sehr Gutem in der Lage. Und auch die beiden Männer waren ihr ein Rätsel oder eher gesagt ihre Beziehung zu Eunha. Tatsächlich hatte die Polizei das meiste von Narisara hören wollen – wohl auch weil sie einem Seongyoon nicht unbedingt über den Weg trauten. Einer hatte sie sogar gefragt, ob er nicht eigentlich auch an der Vergewaltigung beteiligt war und sie nur irgendwie erpresste. Danach war sie nicht mehr so nett zu diesem Polizisten gewesen, immerhin hatten er, Yeon-Seok und sie sich wirklich blendet verstanden. Auch das war eine Sache, die ihr nicht so wirklich in den Kopf gehen wollte. Wie passten diese zwei zu ihrer Tanzpartnerin? Das Puzzle wollte kein richtiges Bild in ihrem Kopf abgegeben und wurde immer undurchsichtiger, je mehr sie von den Männern erfahren hatte. Selbst während die Polizei dort war oder sie auf das Taxi gewartet hatten – auch sie zeigten keinerlei Berührungsängste gegenüber einer Fremden Person, rissen mit der Frau zusammen ihre Witze und manchmal waren diese sogar alles andere als jugendfrei. Sie machten keinen Hehl daraus, dass sie sich von den Männern in ihrem Alter und besonders von den Standartnormen der koreanischen Gesellschaft unterschieden, doch genau das hatte Nari unfassbar Spaß gemacht heute Nacht. Sie waren anders, durchschnitten unausgesprochene Tabus und passten dabei so perfekt zu Narisara, dass sie sich wunderte, wie im Himmelswillen es sein konnte, dass sie die besten Freunde von Eunha waren, während die beiden sich ständig, wenn auch aus Spaß, stritten.
Gerade als ihr die Augen zufielen, hielt das Auto endgültig und die Türen öffneten sich. Das war wohl ihr Stichwort. Seufzend ergab sie sich und erhob sich, durch die plötzlich eingetretene Kälte wenigstens ein bisschen wacher. Diese hielt jedoch nicht lange an, als sie ins Krankenhaus liefen. Am Telefon hatte man ihnen vorhin einen genauen Weg erklärt, sodass es nicht allzu schwer war ihn zu finden. Mit jedem Schritt schienen die Männer etwas schneller zu werden, weswegen sie etwas zurückfiel. Dafür bekam sie die Gelegenheit die Szene vor sich anzusehen, auch wenn sie nicht glauben konnte, was sie dort sah. Eunha stand eng umschlungen mit einem anderen tätowierten Mann, eine junge Frau mit pastellfarbener Kleidung hatte ebenfalls einen Arm um sie geschlungen. Und als die beiden Männer bei ihnen ankamen, wurde Eunha fast von der gesamten Truppe zerquetscht. Der Anblick hätte befremdlich sein sollen und vorhin hatte sie sich Eunha aus irgendeinem Grund noch schlecht mit diesen Männern zusammen vorstellen können. Jetzt jedoch wunderte sie sich selbst fast schon über sich selbst. Das Gegenteil schien hier der Fall zu sein und ein wenig bedrückte es sie, dass Eunha nicht auch nur ansatzweise so mit ihnen umging.
Auf einmal bahnte eben Genannte einen Weg durch ihre Freunde und rannte mit schnellen Schritten auf die Thailänderin zu. Mit voller Geschwindigkeit stieß sie gegen Narisara, dass dieser für einen kurzen Moment die Luft ausging, ehe sie ihn den Arm genommen wurde. Kurz versteifte sie sich, hörte die junge Frau in ihren Armen schniefen. Eunha würde doch nicht weinen oder? Warum sollte das auch der Fall sein? Prompt wurde sie noch fester an die Braunhaarige herangezogen. Dann legte sie die Arme ebenfalls um die andere Frau. Hatte sie nicht eben gerade noch gedacht, wie traurig es war, dass es solche Szenen nicht zwischen ihnen gab? Kurze Zeit betrachtete Nari einfach die Freunde ihres Bandmembers, wie sie sich angeregt unterhielten. Obwohl sie wie ein zusammengewürfelter Haufen aussahen, schienen sie wirklich ein Herz und eine Seele zu sein. Eine Gruppe, welche vermutlich mit Vorurteilen zu kämpfen hatte, doch irgendwas schien ihr zu sagen, dass sie das noch besonderer machte. Sie lachten, rissen irgendwelche Witze, selbst die Jungs umarmten sich. Und sie schienen für einander da zu sein. Etwas, was jemand wie Eunha wirklich zu brauchen schien. Ob sie noch nie etwas von ihnen erzählt hatte, weil das einfach nicht ihre Art war oder weil sie Angst vor der Reaktion der anderen Member hatte? Schwer vorstellbar, doch nach dieser Nacht wurde Narisara das Gefühl nicht los, dass die beiden sich ähnlicher sein könnten, als zunächst angenommen.
„Bist du verrückt?“, wurde sie urplötzlich fast angeschrien. Wenn sie sich nicht gerade in einem Krankenhaus aufhalten würden, wäre der Ton bestimmt noch lauter gewesen. Eunha hatte sie an den Schultern gepackt und sah ihr jetzt stur in die Augen. Waren das wirklich Tränen in ihren Augen? Vielleicht schlief sie doch schon?
„Du kannst doch sowas nicht machen! Ich hab mir verdammt nochmal Sorgen gemacht. Was, wenn du allein mit diesen Typen gewesen wärst?“, rüttelte die Ältere nun an ihren Schultern herum, „Was, wenn dir etwas passiert wäre? Du darfst doch nicht so unvorsichtig sein! Dir hätte sonstwas passieren können, sie hätten das Gleiche mit dir machen können. Du hättest im Eifer des Gefechts überfahren werden können oder keine Ahnung was? Denkst das wäre gut gewesen.“ Damit wurde die Blonde wieder in die andere der Braunhaarigen gezogen.
„Mach das einfach nicht wieder okay?“, flüsterte Eunha aufgelöst. Und Narisara hatte die Vorahnung, dass sie doch von einem Bus erfasst worden war. Ihr Gehirn kam nicht mehr mit. Am liebsten hätte sie sich jetzt einfach hier sinken lassen und geschlafen.
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